Geschichte Rügens - von der ältesten Zeit bis auf die Gegenwart - von Otto Wendler, 1895

Rügen ein preußisches Land

Schweden hatte sich endlich von der Unmöglichkeit überzeugt, seine deutschen Besitzungen schützen zu können. Nach der Besiegung Napoleons trat es im Kieler Frieden 1814 Rügen und Vorpommern gegen Norwegen an Dänemark ab. Aber wie Dänemark nun schon so oft um den Besitz dieses ewigen Zankapfels gekommen war, so sollte ihm auch jetzt wieder und zwar nun für immer die Hoffnung vernichtet werden, jene Länder noch mal wieder sein zu nennen, die in großer Zeit sein König Waldemar I. und dessen gewaltiger Kanzler Absalon dem Dänenreiche unterworfen hatten. Erstlich nämlich widersetzte sich Norwegen der schwedischen Einverleibung; deswegen unterblieb von Seite Schwedens, solange es diese Entschädigung noch nicht besaß, die faktische Abtretung Rügens und Vorpommerns oder nie der Zeitpunkt da sei, das so lange und hartnäckig ihm vorenthaltene Erbe anzutreten; nicht war Preußen mehr gesonnen, sich hier seine alten Rechtsansprüche wieder schmälern zu lassen. So mußte denn Dänemark sich mit Preußen auf dem Wiener Kongreß, wo ja die Regulierung aller Grenzfragen vorgenommen wurde, einigen. Es verzichtete zu gunsten des Königs von Preußen auf Rügen und Vorpommern und nahm als Entschädigung das Herzogtum Lauenburg und 2,5 Millionen Thaler. (4. Juni 1815). Drei Tage danach kam auch zwischen Schweden und Preußen ein abschließender Traktat zustande, nach welchem Preußen Rügen und Vorpommern erhielt gegen eine Summe von 3,5 Millionen Thaler, wofür Preußen sämmtliche Domänen, die Schweden an seine Offiziere oder Beamten gegeben hatte, zurückempfing. Der Tag der Unterzeichnung dieses Traktaktes, der 7. Juni 1815, ist somit als der Moment anzugehen, in welchem Rügen preußisch wurde. Die Ausführung der Übergabe wurde durch den wieder beginnenden Kampf gegen Napoleon noch aufgehalten. Am 15. September erließ König Friedrich Wilhelm III. aus dem eroberten Paris das Patent, kraft dessen er Besitz ergriff von Vorpommern und Rügen und seinen Titeln den eines Fürsten von Rügen zulegte. Und am 1. Oktober entband der schwedische König Karl XIII. die Einwohner des schwedischen Pommerns und Rügens des ihm geleisteten Eides der Treue. Damit war das letzte Band gelöst, das unsere Insel bisher an Schweden geknüpft hatte. In diesem Entlassungspatent spricht der König es offen aus, woran das ganze Verhältnis Rügens und Pommerns zu Schweden krankte: "Die Erfahrung der letzten Jahre hat hinreichend bewiesen, daß Schweden, durch Verhältnisse des Lokals, der Gesetze und seiner Mittel von Euch (Pommern und Rüganern) abgesondert, Euer Gebiet nicht unverletzt behaupten konnte, sobald politische Umstände dasselbe bedrohten". Nicht ohne Wehmut wird dann in dem Patent zurückgeblickt auf die innige Verschmelzung Rügens und Pommerns mit dem schwedischen Reich, wie sie die lange Zeit des Besitzes, 160 Jahre, naturgemäß mit sich bringen mußte. Rühmend erkennt der schwedische König die echt pommersche Treue an, mit der Rügen und Pommern an ihm gehangen; "dieselbe Liebe, dieselbe Unabhängigkeit, die Ihr Uns und Unsern Vorfahren erzeigt habt", heißt es weiter, "weihet Eurem neuen Beherrscher". Dieser Appell an die Treue auch für das neue Herrscherhaus fand vollen Widerklang in den Herzen der Bevölkerung, und bei dem Huldigungsakt am 26. Oktober 1815 in der Nikolaikirche zu Stralsund gab ihm der Sprecher der Ritterschaft Graf von Bohlen namens der Stände schönen Ausdruck in seinen Worten; "Unser unablässiges Bestreben wird es von nun an sein, Ihm (dem König von Preußen) unsere unerschütterliche Treue zutage zu legen und zu beweisen, daß wir auch unter einer auswärtigen Regierung nicht verlernt haben, Deutsche zu sein". So war denn endlich nach langem, verderblichen Streit die Zeit geendet, in der Rügen als Spielball der Parteien von Freund wie Feind gleich schwer heimgesucht war. Endlich hatte den Besitz der Insel der Staat angetreten, dem sie seit fast drei Jahrhunderten rechtlich gehörte, der Staat, der inzwischen erstarkt zu einer Großmacht, jetzt auch imstande war, Rügen wirklich zu schützen und vor der Wiederkehr jener traurigen Zeiten dauernd zu bewahren. Und weil Kultur und Sprache Preußens die Rügens ist, hat sich der Übergang leicht vollzogen; ließ sich auch zu Anfang eine gewisse Wehmut nicht wegleugnen, mit der man auf die schwedische Zeit zurückblickte, so zeigte doch Rügen bald, daß es unter dem fremden Zepter ein deutsches Herz sich bewahrt hatte. Wie hätte es anders einen Mann hervorbringen können, wie den Dichter und Vorkämpfer der Freiheitskriege Ernst Moritz Arndt, der 1769 auf dem Gute Groß-Schoritz geboren wurde und seine Jugend hier verlebte! Für Rügen begann mit dem Jahre 1815 wieder eine neue Epoche, die der friedlichen Entwicklung zu nie geahnter Blüte. Wieder, wie einst in grauer Vergangenheit zu Beginn einer neuen Zeit, lebte auf der Insel ein genialer Mann, ein Nachkomme jenes edlen und tüchtigen rügenschen Fürstenhauses, der Fürst Malte von Putbus. Er war es, der durch seine großartigen Schöpfungen in und um Putbus den Keim gelegt hat zu dem blühenden Badeleben, das jetzt an Rügens Küsten herrscht. Und Preußens Könige waren es dann, die zuerst den Naturschönheiten der Insel bewundernd sich hingaben, historische Punkte der Insel durch Denkmäler verherrlichten und durch dies alles mächtige Antriebe gaben zu dem großen Aufschwung, den die Rügenschen Bäder in diesem Jahrhundert nehmen sollten. Fürst Malte von Putbus, der 1807 vom schwedischen König Gustav IV. in den Fürstenstand erhoben und von Friedrich Wilhelm III. in dieser Würde bestätigt wurde, legte den Grund zu dem Städtchen Putbus. Seine Schöpfung ist auch der herrliche und auf Rügen einzig dastehende Park, ferner das großartige Jagdschloss bei Binz, sowie die Anlage des ersten Seebades auf Rügen. Dies wurde 1816 bei dem Dorfe Neuendorf am putbusser Strand eingerichtet und bekam später den Namen Lauterbach. Freilich im Verhältnis zu den Anordnungen der Jetztzeit war alles noch sehr gering und einfach. Für die Herren waren am Strande Zelte aufgeschlagen, die als Badezellen dienten; von hier aus ging man frisch weg ins Wasser. Den Damen war es bequemer gemacht. Für sie gab es vier Badekarren, die ins Wasser geschoben wurden. Auch war für warme Bäder in Putbus selbst und in Lauterbach gesorgt. Großartiger wurde die ganze Einrichtung des Badeortes dann mit der Erbauung des Friedrich Wilhelmsbades. 1818 am Geburtstage des preußischen Königs wurde der Grundstein zu diesem herrlichen Gebäude gelegt, das noch jetzt besonders aus der Ferne mit seiner hohen Säulenhalle und dem weißen Anstrich sich so prächtig ausnimmt gegen den dahinter liegenden dunkelgrünen Buchenwald. Putbus war das erste und blieb lange Zeit das einzige Seebad auf Rügen. Seit den fünfziger Jahren fanden sich auch regelmäßig einzelne Gäste in Saßnitz und Binz ein. Die Fischer in diesen friedlich-einsamen Dörfern waren auf solchen Besuch freilich nicht eingerichtet und die vorhandenen alt-ehrwürdigen "Krüge" ebenso wenig; es ging alles noch sehr primitiv her. Aber den Mangel an Luxus ersetzte die in ihrer Majestät noch vollständig jungfräuliche Natur reichlich. Bald entstanden Logirhäuser und Gasthöfe mit dem steigenden Fremdenverkehr, und seit der Eröffnung der Dampfschiffahrt von Stralsund und Greifswald und gar erst seit Erbauung der Rügenbahn 1883, ist dieser ins Fabelhafte gestiegen. Wer hätte es zu Anfang des Jahrhunderts geahnt, daß im Jahre des Kaiserbesuches 1893 Saßnitz und Crampas allein 20 000 Fremde sehen würden! Diesen Gang der friedlichen Entwicklung konnten auch die Kriege von 1864 und 1870 nicht stören, obgleich Rügens Küsten in ersteren von den Dänen, in letzterem mit einer französischen Landung bedroht wurden. Die junge preußische Marine bestand rühmlich am 17. März 1864 bei Arkona die Feuerprobe und verhinderte den dänischen Besuch auf der Insel. Und 1870 vermochte selbst ein französisches Geschwader von 4 großen Panzerschiffe und einem Aviso nichts gegen die kecken Nußschalen der Preußen. Der Kapitän Graf von Walderfee befehligte eine preußische Flottenabteilung von einem Aviso und 3 Kanonenböten. Mit seiner blitzschnellen "Grille" machte er in der Nähe Rügens Jagd auf die Franzosen, während die 3 Kanonenböte "Blitz", "Drache" und "Salamander" in der Bucht zwischen Hiddensöe und Wittow lagen. Am 17. August griff Walderfee auf der Höhe von Hiddensöe kühn das französische Geschwader an, die 3 Kanonenböte kamen ihm zu Hülfe und brachten den Franzosen durch wohlgezieltes Feuer vielfachen Schaden bei, bis sie sich endlich in die seichte Bucht bei Hiddensöe zurückzogen, ohne selbst irgendwelchen Schaden genommen zu haben. Eine Landung aber wagten die Franzosen nicht, überall schreckten sie die kleinen Küstenwachen, die mit wahrer Sehnsucht auf einen Landungsversuch und einen warmen Empfang der Franzosen lauerten, von diesem Vorhaben zurück. Preußen hatte sich stark genug gezeigt, die Insel schützen zu  können, sein Feind hatte seinen Strand wieder betreten. Und als dann endlich am 18. Januar 1871 alle deutschen Stämme vom Fels zum Meer zu einem starken Bunde sich die Hand gereicht hatten, und das neue deutsche Reich wiedererstand, war auch für Rügen der Tag gekommen, an dem es für sein treues Festhalten an der deutschen Nationalität, für sein Jahrhunderte langes Ausharren trotz Drangsal und Kriegsnot und fremder Herren den schönsten Lohn empfing, ein wirklich deutsches Eiland sich nennen zu können. Das möge es bleiben für alle Zeit! Wir sind am Schlusse der Geschichte Rügens angelangt. Mehr denn acht Jahrhunderte haben wir vor unserem Auge Revue passieren lassen, von jener Zeit an, wo die Morgendämmerung der ersten schwachen Kunde von der Insel und ihren Bewohnern am Horizont der Geschichte ausging bis in die Tage der lichten Gegenwart. Das Bild, das sich uns bietet, spielt in den abwechslungsreichsten Farben, und lebensvoll genug ist es. Wir haben die alten Rüganer in ihrem Wirken und Kämpfen, in ihrer Kultur und Religion belauscht, haben den Sturz des Alten und das Aufblühen neuen Lebens aus den Ruinen beobachtet. Neben den Friedensschöpfungen einer neuen Kultur haben wir dann wilde Stürme mit zerstörender Gewalt über die Insel brausen sehen, bis Rügen endlich in den sichern Port  friedlicher Entwicklung einlief. Und das alles, das bunte Wogen der Vergangenheit wird voll Leben und Wirklichkeit vor unserer Phantasie neu aufstehen, wenn wir heutigen Tages an den historischen Punkten der Insel weilen und die Natur, die noch unveränderte Szenerie jener Ereignisse, in ihrer Erhabenheit auf uns wirken lassen.


 
Die älteste Kunde von der Insel
Rügen als selbständiges Reich
Swantewit und andere rügensche Gottheiten
 
Die Unterwerfung der Insel durch die Dänen 1168
Rügen unter dänischer Oberhoheit
Rügen unter schwedschem Zepter

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